Ähm, will noch berichten, wie die Geschichte mit den Vollgummireifen ausging. Also das Ende vom Lied.
Ich hatte den Luftreifen ja in vollendeter geistiger Umnachtung falschrum aufgezogen. Aber macht ja nix, ich fahre ja eh nie bei Regen.
Nächster Morgen, 9 Uhr – Zahnarzttermin. Es regnet. Himmelherrgottsackzement!
Ich bins leid, auf GAR KEINEN FALL werde ich den vermaledeiten Reifen wieder von der Felge zerren und mir wieder stundenlang die Finger verklemmen und mich zum Gespött der Elstern machen, die hämisch aus dem Baum herunterkeckern. NIEMALS! PUNKT!
Schließlich hatte ich heute ja Besuch von Ihrer Eminenz, dem König. Der kam hoch auf dem gelben Wagen und übergab mir, nachdem ich artig einen Bückling machte, Post von "YS". Ihre allerdurchlauchtigste Eminenz ist nämlich Jungschützenkönig und bringt hier die Post. Ein König, der arbeitet. Das gabs noch nie.
Drin, also im Paket, nicht im König: Ein wundervolles Kompletthinterrad noch ohne sechshundert Kratzer mit HONEYCOMB-Gummireifen – und noch ein einzelner HONEYCOMB-Gummireifen für vorne. Ha!
Das HONEYCOMB schreibe ich extra so groß, weil es so ein gutes Gefühl macht. Das bedeutet ja "Bienenwabe" – und irgendwie ist doch immer alles gut, was mit Bienenwaben zu tun hat. Wir schreiben ja das Jahr 2023, da hat so ein Vollgummireifen nix, aber auch rein gar nienichüberhauptnix mit den knüppelharten Vollgummireifen kurz nachem Krieg zu tun, von denen mein Vater mir mal leidend berichtete. Nee, das ist Hightech mit dem geheimen Wissen aller Bienenvölker dieser Erde, in Gummi gegossenes Fahrvergnügen mit Bienenwaben-Komfort für eine Fahrt wie auf Schäfchenwolken!
Und obendrein das einzig Wahre fürs Rumgurken auf dem Land, wo die einzige Verbindung zwischen A und B oft nur Querübernacker oder über Feldwege ist, auf denen Steine rumliegen, mit denen sie in England Stonehenge gebaut haben. Da himmelts den Reifen ganz schnell in die Pneuhölle.
Nie wieder Gummi! Da nickt jeder Mann wie'n Wackeldackel, wenn keine Frauen in der Nähe sind.
Also runter das luftbesohlte Hinterrad, rein das Waben-Hightech-Wolken-Komfort-Unplattbar-Wunder. Ruckzuck sitzt das Ding! Auch noch kinderleicht zu montieren! Dreht sich nur nicht. Äh? Ach, die Bremsscheibe sitzt irgendwie anders als beim Steinzeitluftrad. Wie funktioniert das? Ah, bestimmt nur die zwei Schrauben lösen und das Bremsding zurechtschieben. Kein Thema – wenn die verdammten Schrauben an Xiaomi-eScootern nicht alle von Chuck Norris angezogen würden! Der Akkuschrauber auf Aggrostufe reißt die Biester endlich locker und mir fast die Hand ab.
Rad mit einer Hand drehen, mit der anderen das Bremsgedöns zurechtrücken, bis das Rad frei läuft, irgendwie in etwa die Mitte zwischen Schleifen links und Schleifen rechts finden, Dann eine Schraube schnell richtig anknallen, damit sich das Bremsgedingse verdreht und wieder schleift wie Affe auf Stein. Fluchen, lösen, jetzt langsam mit den jungen Pferden. Ah, dreht jetzt auch nach Anziehen frei! HA-HA-HONEYCOMB for president!
Prooooobefahrt! Engelsgesang rundherum, güldne Sonnenstrahlen fluten aus den Wolken, ich rumpele über das ungepflegte Gras meiner Einfahrt, winke den Zeugen Jehovas zu, die ein Ehrenspalier für mich gebildet haben. Gas! Na also, läuft doch! Okay, ein kleines bisschen bisschen härter vielleicht, das wars aber auch.
Diese Spacken, die ständig und überall schrieben, dass mit Gummireifen kein Fahrkomfort möglich wäre, dass es dir die Lötstellen zerbröselte … Nichtswisser, Ahnungslose, Wichtigtuer, Ewiggestrige, Gummi-Hasspost-Verfasser!
ICH weiß es jetzt besser!
In elegantem Schwung biege ich auf die Querstraße ab, die nicht asphaltiert, sondern gepflastert ist, wie man das in der Nähe des Gouda-Äquators ziemlich oft macht. Souverän beschleuRACKATACKTACKTACKROMPFKRAWOMMPELTACKARACK – BREMMMSÄÄÄÄN!
Mein Hirn schwabbelt ein paar Sekunden nach, ganz langsam verbinden sich die Hoppelbilder, die meine Augen im Überlebenskampf lieferten, wieder zu etwas, das ich halbwegs erkennen kann. Was zum Geier war das?
Ich fahre ganz vorsichtig an, TACKARUMPELTACKARUMPELRACKATACKARCKTCK, meine Augen verwandeln sich in einen doppelt kaputten Filmprojektor, das Bild springt wie ein Flummi. BREMSÄÄÄN! Die Welt stabilisiert sich allmählich. Selbst Hackenanheben nützte so viel wie ein Eiswürfel im Zentrum einer Atombombenexplosion.
Ich schiebe, mein Scooter hüpft neben mir her. Über ebenes Pflaster, das beim Befahren mit Luftreifen nur eine ganz leichte Vibration mit sanftem Brummen erzeugt.
Ich halte den Kopf gesenkt, weil garantiert an jedem Fenster einer steht, der von dem Knattergerumpel aufgescheucht wurde, jetzt mit dem Finger auf mich zeigt und meint: "Sisse? Wolltesjanichhöan!"
Zwei Minuten später zerre ich den falschrum montierten Luftreifen von der Felge, ackere das Ding richtigrum drauf, merke dabei, dass man sich das Heißmachen komplett knicken kann, da der Reifen eh kalt ist, bis man so weit ist, dass man die Flexibilität braucht. Diesmal gehts einigermaßen flott, man gewöhnt sich so langsam dran.
Gummireifen runter, Luftreifen wieder drauf. Die Nichtswisser, Ahnungslosen, Wichtigtuer, Ewiggestrigen hatten doch Recht. Aber sowas von!
Jetzt verstehe ich das endlose Leid in den Augen meines Vaters, als er von den Vollgummireifen seines Tretrollers kurz nach'm Krieg in der Wildnis Brandenburgs berichtete. Ich fühle mit ihm.
AUF GAR KEINEN FALL kommen mir Vollgummireifen auf die Felge! NIEMALS! PUNKT! Sagte ich ja schon am Anfang, oder?
Ernsthaft: Ich hätte nie gedacht, dass es SO übel, der Unterschied so dermaßen gewaltig ist. Auf spiegelglattem Asphalt oder Teflon ist das Vollpfostengummi okay, alles andere macht Püree aus dem Hirn und potenzförderndes Elfenbeinpulver aus den Zähnen. Auch die Lötstellen dürften ganz flott das weiße Fähnchen schwenken. Vielleicht hat ja der eine oder andere Mathematiker Freude daran: Wenn man nämlich die genaue Breite eines Pflastersteins kennt, kann man das eigene Tempo ganz einfach ausrechnen, wenn man stoppt, wie oft es einem das Hirn beim Drüberhacken pro Sekunde an die Schädeldecke rammt.
Wieso nehmen die versteinertes Gummi mit Stahleinlage? Da kann ich mir ja gleich so ein Postkutschenholzrad aus dem wilden Westen anflanschen! Oder mir ein Komfortrad aus Granit schnitzen.
Spaß beseite: Wieso gießt man solche Reifen nicht felgenseitig aus Hartgummi, an der Lauffläche aus weicherem Gummi, das wenigstens ein bisschen federt und die Härte von Diamanten wenigstens ein klein wenig unterbietet?
Ich bin jedenfalls geheilt, und das nachhaltig. Lieber alle paar Monate den Reifenwechsel-Arnold spielen als noch einmal steinhartgummiert über Pflasterstraßen rappeln. An die Feldwege denke ich aus Gründen der Suizidverhütung erst gar nicht. Vielleicht probiere ichs noch einmal, wenn ich meinen Zweitscooter mit Federung habe. Und mich irgendwann in den nächsten Jahrzehnten für ein Modell entscheiden kann.
Nachtrag: Gestern fuhr ich in vollendetem Luftreifenkomfort zum Cheeseburgerholen zum Schotten, schwebte förmlich dahin, selbstverständlich nur über Privatstraßen. Neben mir Thai-Uwe auf dem Pedelec, sichtlich angestrengt. Nach fünf Minuten: "Äh, kannzema ein bisschen langsamer? Das Fahrrad unterstützt nur bis 25." Huldvoll nehme ich ein wenig Gas weg und grinse in mich hinein. Die Welt ist schön. Plötzlich werde ich langsamer, 20, 18, 15. Thai-Uwe: "Sachma, kann das sein, dass du vorne nen Platten hast?"
Die Welt ist sowas von sch…!